dayliary, 09. dezember 2016
angekommen. der zug bewegt sich alsbald von einer lücke – hinter der einmal eine einfahrt, ein anderes mal ein haus steht – bis zur nächsten. angekommen an der einen seite. die maschen stehen stramm, stramm halten sie die einen von den anderen fern, lassen ein- und ausfahrten aus. zu den häusern und einfahrten gehören auch menschen die sich damals vor nicht allzu langer zeit darüber gewundert hatten, warum denn jetzt so plötzlich – so lange, dachten sie, dachte auch ich und dachten viele von uns, hatten wir uns ja dafür eingesetzt, dass wir uns einig waren dagegen zu sein – ja so plötzlich hier wieder so etwas her- und hingestellt werden sollte und noch dazu, ja vor die eigene haustür!
laute stimmen. kameras, mikrofone. Interviews, da und hier. ansonsten, ja ansonsten ist es ja so heutzutage – und vergessen sie an dieser stelle bitte nicht, oder habe ich es noch gar nicht erwähnt, wir sind hier praktisch ganz abgelegen, in einer weinbergbuchenwaldundromantischensonnenuntergangsausdemreisebürokatalogherausgeschnittenen idylle – als wäre das alles gar nicht passiert, als hätte es nie stattgefunden. und dann hätte man eines tages die fahnen gesehen, die da stehen, vor der lücke, so zu dritt stehen sie hier herum (noch stehen sie ja nicht, ich springe immer ein bisschen herum in meinen texten) und keiner hätte gewusst woher? und das folgende würde ja auch niemand wissen, wenn ich es jetzt hier nicht schreiben würde: jemand der auf jeden fall heute nicht dabei ist, aber gerne da gewesen wäre, ihn wollte man (der rückzug ins man, eine sache für die frau heidegger manchmal und manchmal ist oft, wirklich dankbar ist) nicht dabei sein lassen – man sagte, man könne ja auch aus der entfernung berichten – na sicher! gut. einer weniger der dabei war.
aber zurück zur lücke: absurdidät präsentiert sich dem blick, etwas, das sein sein und seinen populistischen sinn durch sein dasein und durch sein wie-sein negiert. ein symbol für das denken, das gern an die eigenen grenzen geht aber bitte, bitte ja nicht darüber hinaus, borderliner über board! nein. grenzübertreter über die grenze. nein. es reicht nur an die ober-, an die unter- und an die eigene grenze und die, die setzt man sich immer noch selbst.
…etwas schlängelt sich durch die poetische landschaft, still und heimlich, unaufgeregt, unbeobachtet aber wirkungsvoll, das zählt. geister, deren ängste geschürt, deren antipathie geweckt wurde, sollen nun beruhigt, befriedet, die anderen eingefriedet sein. es muss erledigt sein. wer steht wo und wann an welcher seite? wem gilt die befriedung, die einfriedung? der gang an die grenze, das angrenzende, das auf beiden seiten ausgegrenzte, wer weiß auf welcher seite wer denn jetzt eigentlich und warum hier ausgegrenzt werden soll? schon lange nicht mehr gesehen hatte man sie oder ihn und wenn ich ehrlich bin vermisst wurde sie oder er oder so auch nicht. direkt vor dem einfamilienhaus – die ein- und ausfahrt ausgespart – steht die aus gründen der sicherheit (!) nicht genau in kosten bezifferte kette, die maschen aus stahl, durch die sich niemensch durchschleusen kann als symbol, als symbol für diejenigen die wieder nicht verstanden haben, dass es darum gar nicht geht und auch gar nie gegangen wäre, wenn … eine fence! ähm tschuldigung, eine farce! eine fence-offence!
rechts vom familienhaus: überbleibsel, nicht fertiggemachtes, noch nicht bespanntes, noch nicht verwendetes, einstiges g7-material für den vielzitierten notfall, den ausnahmezustand, dann werden auch sie mit kleinen silbernen maschen bespannt, damit auch dort niemensch … man will ja vorbereitet, ausgerüstet sein. 250 meter nach links: megaphon. gespräche über übergrenzen und obergrenzen, ohne irgendwelche referenzen gezogen, einfach von heute auf morgen wieder aufgebaut, abkommen gekappt, werte vertrampelt, verkauft, hergegeben an die angst, an die sicherheit, die mit sicherheit, nicht sicherheit schafft. ein paar meter weiter links: stroblismus. nein, durch mein grundstück nicht. nein. ich will dieser verführung, dieser falschführung dieser irreführung nicht nachgeben. sie können gerne ein stück auslassen, nein sie können nicht nur, sie müssen. hier auf meinem grund und boden wird es sie nie geben. keine ober-, unter- und überhaupt grenze.
kein borderline-symbol für ihr borderlinesyndrom. stroblismus, ist nichts für grenzzaunverfechter, für grenzzaunversteher und grenzzaunverdreher, er sorgt für grenzzaungelächter, strobl-ist-muss! ein grenzzaunverdränger. ich sage: mehr stroblismus für … alle? für alle grenzzaunbauer und die, die es noch werden werden: usa, brasilien, spanien, großbritannien, schweden, türkei, österreich, ungarn, ägypten, israel, saudi arabien, china … zäune gegen migration. statt mittel zur integration. statt auf die zukunft bauen, uns die zukunft verhauen, sich abschließen, eingießen, sich zu betonieren, sich hinter den zäunen verstecken. sie, ich und du, wir werden die lücken entdecken, stroblistischer lückenverteidungsansatz. in stroblistischer manier die lücke gestopft, dem grenzzaun das absurde aufgepropft. so lange lücken entdecken, bis vor lauter lücken per definitionem kein zaun mehr da sein können werden wird. das kann dauern. noch immer, immer noch (das klingt jetzt so als ob es wohl bald vorbei wäre aber sorry, da muss ich sie enttäuschen, ich denke es fängt gerade erst so richtig an mit dem zaungeschäft, zaungäste gibt es ja genügend und zaunbauer und zaunbauerfirmen und g7 abfallmaterial ist vorhanden und millionen und millarden für die eigene sicherheit und die der anderen … puh – diese töpfe sind groß, fässer ohne boden, hohle löcher die das geld nur so verschlingen, gefräßige schlunde – ein gutes geschäft mit der angst. wie jedes geschäft, das mit der angst rechnet. jetzt ist mir schwindelig geworden, entschuldigung) immer wieder ist man immer hinter irgendeinem zaun oder vor einem zaun (schauen sie sich nur diese karte an die ich gefunden habe: click a country to see the barriers it has built), immer ist irgendwo ein zaun! vor lauter zäunen weiß irgendwann niemand mehr wer eigentlich wen und warum eigentlich und überhaupt eigentlich wogegen, abtrennen hatte wollen und abgetrennt hatte und abtrennen hätte können und es auch getan hat und es in zukunft immer noch getan haben wird – eigentlich. für die grenzen zwischen denen und uns, zwischen hier und dort, zwischen dem anderen wir und dem unseren hier.
nichts für grenzgänger, borderliner, fencebegeher und rechtsverdreher. aber zurück zu den fahnen: den panther zieren die zeichen von judentum, buddhismus, hinduismus, islam und christentum. er trägt den schmuck stolz in steirer manier (wenn der wüsste) trägt den schmuck auf seinem abgekämpften, unwissenden, seins-geschichts- und bewusstseinsvergessenen haupt, der steirischen eigenständigkeit die weltreligionen vor den latz geknallt, haha – wird getragen hin und her, hineingesteckt in den erdboden – welche seite ist das jetzt nochmal? und da, da wo ich jetzt stehe, ist das nun die eine oder die andere seite? und wo bitte, wo stellen sie mich jetzt auf? ah, zwischen den beiden, zwischen dem borderliner und der ober- und untergrenze und der grenze hier? acha, ich sehe es schon, das loch. da stellen sie mich jetzt hinein? und wie lange, wie lange soll ich da nun stehen? naja, sie wissen es auch nicht. ok. kreuzigen sie mich ruhig hier zwischen den bordern, zwischen dem überbordenden und dem unterbordendem, zwischen der über-/untergrenze und der grenze … und doch wieder: tausend stäbe die vor hundertvierzehn jahren noch der imagination des eigenen eingesperrtseins dienen sollten, sind wieder und immer wieder real. eins blieb gleich: auch keine welt mehr da, hinter den stäben, hinter den maschen. die welt in der es keine zukunft gibt, hinter den zäunen, hinter den zaunstäben von denen keiner mehr weiß ob er, sie oder es, dahinter oder davor ist.
autorin: tanja peball
veröffentlicht in: ausreisser nov-dez 2016